Wenn die Forsythien wieder blühen

von Guido Berg, Quelle: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 22.03.2014, http://www.pnn.de/potsdam/839653/

 

Giacometti und Gartenzwerge; Wenn die Forsythien wieder blühen, erwacht in Potsdams Kleingartensparten das neue Leben. Ein Frühlingsspaziergang am Pfingstberg und am Hinzenberg: Der Frühling eröffnet mit Gelb. Die Forsythien leuchten, ein Zitronenfalter überquert segelnd die schmale Straße Am Pfingstberg und wechselt somit von den Gärten der Sparte „Bergauf“ in die der Gartensparte „Am Pfingstberg“. „Wir verstehen uns alle gut, jeder Verein hat seine Probleme“, erklärt Bernd Seiler über den Bretterzaun, mit dem er seine 240 Quadratmeter -„man misst ja nicht nach“ – vor dem immer rasanter werdenden Autoverkehr auf dem engen Asphaltweg abgrenzt. Der Potsdamer bearbeitet den Boden. Ein Kleingärtner „hat immer was zu tun“, sagt er. Es gilt viel zum Leben zu erwecken, der Samen muss in die Erde, Petersilie, Kräuter, Bohnenkraut, Möhren, „alles für den Eigenbedarf“. Ja, zu DDR-Zeiten hatte die Selbstversorgung noch einen ganz anderen Stellenwert. Und jetzt? Ein Bund Möhren kostet oft nicht mehr als 75 Cent, „dafür können Sie es gar nicht produzieren“. Aber es ist doch etwas anderes, dann endlich in die selbstgesähte Möhre zu beißen? „So ist es!“

Der erste Frühlingstag will bereits ein Sommertag sein, blauer Himmel, 20 Grad, Licht, so viel das Auge will. Über den Gartenhäusern, die sich über das Tal erstrecken bis rüber zu den Roten Kasernen, weht hier und da eine Flagge im warmen Wind, da mit rotem Adler, dort blau-weiß mit dem Emblem der Hertha. An der Pforte zum „Dahlienweg“ informiert ein Schaukasten, dass am 29. März das Wasser angestellt wird, ab 9.30 Uhr. Aber von dem Wasser gegen Rechnung will Horst Gramenz ohnehin nicht viel verbrauchen, daher fängt er das Regenwasser auf. Von der Dachrinne seines Gartenhauses läuft es direkt in grüne Plastiktonnen, die zu zwei Dritteln im Boden vergraben sind, einfach weil das so besser aussieht. Und sind diese voll, trägt er das kostbare Nass per Gießkanne zu zwei weiteren Tonnen und füllt diese auf. Seit 43 Jahren hat er den Garten, nun wird ihn sein Sohn übernehmen, so bleibt er wenigstens in der Familie.

Auf Möhren hat’s auch Wolfgang Münchberger abgesehen, genauer: auf Babymöhren. Der Mann, der sein weißes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, will es sich leicht machen, er bepflanzt ein Hochbeet, dass er aus Brettern, passgerecht im Baumarkt zugeschnitten, selbst gebaut hat. So braucht er sich beim Ernten nicht bücken. Ganz unten kommen Rosendornen in den eineinhalb Meter hohen Kasten, „damit die Mäuse nicht hochkommen“, dann Schnitt, Laub, Kompost und „Pferdemist, wenn man hat“, zum Schluss Muttererde. Der Clou seiner Aussaat: Münchberger versenkt ein Samenband in der Erde, auf das Möhrensamen im richtigen Abstand zueinander aufgeklebt sind und das in der Erde schnell verrottet. Auf diese Weise muss er nicht jeden Krümel einzeln sähen und die Möhrensprößlinge auch nicht verziehen. Er will sich nicht zum „Sklaven seines Gartens“ machen, sagt er, „wenn ich lesen will, dann lese ich“. Etwa das „Ostpreußische Tagebuch“ von Hans von Lehndorff, als Lektüre empfohlen von Gräfin Döhnhoff, „das war ’ne kluge Frau“.

Und wenn die Gärtner einen Kaffee wollen oder ein Bier oder „gute deutsche Küche“, gehen sie zu Jochen Garbrecht in den „Laubenpieper“, wo dieser für „Bayrisches Hefeweizen vom Fass“ wirbt, so steht’s mit Kreide auf einer Tafel geschrieben. Im Innern des Gartenlokals erinnert ein Schild an der Wand an den „VEB Brauerei Potsdam“. Neben dem „Laubenpieper“ hat Wilfried Prochnow seinen Garten – „Prochnow – wie der Schauspieler“, erläutert er, während er mit den Füßen entlang einer gespannten Schnur Wege übers Beet festtritt. Wie begrüßen sich eigentlich Gartenfreunde?, wird er gefragt. „Gut Wuchs!“, sagt er, das ist das für Gärtner, was für Angler „Petri heil!“ bedeutet.

Am Ende des Dahlienweges lehnt Udo Weberchen am Zaun, er ist der Vorsitzende der Gartensparte und ein humoriger Mensch. Freilich, nicht witzig findet Weberchen, dass die Straße „Am Pfingstberg“ so stark befahren ist, seit die Bertinistraße für die Durchfahrt gesperrt wurde. „Potsdam hat kein Verkehrskonzept für den Norden“, so lautet sein kritisches Urteil.

Wer den Kunstsinn von Kleingärtnern wegen der Gartenzwerge in Zweifel zieht, liegt bei Norbert Strauß daneben. An anderer Stelle in Potsdam, in Sichtweite von Mercure-Hotel und Speicherstadt, hat der bald 70-Jährige seinen Garten. Diesen zieren zwei etwa zwei Meter hohe Menschen-Skulpturen, extrem dünn in den Hüften, die Nachbarn sagen im Frühling: „Jetzt stellt er seine Gerippe wieder raus“. Kein Geringerer als Alberto Giacometti ist sein großes Vorbild; geschaffen hat der ehemalige Raumausstatter Abbilder etwa des „Running man“ aus Stahlrohren, Maschendraht und Fliesenkleber. „Das hält seit drei Jahren“, sagt der Hobbykünstler.

Ebenfalls Mitglied in der Sparte „Am Hinzenberg“ ist Simone Rumler, die gerade ihren Gartenwasserzähler wieder einbaut. Mit Interesse sieht sie das Wachsen einer regelrechten Skyline gegenüber am anderen Havelufer zu. Ob es am Hinzenberg eines Tages zugeht wie in der Speicherstadt? „Ich nenn’ das hier Bestandsgarantie, aber man soll ja nie nie sagen“, sagt Simone Rumler skeptisch. Doch Eduard Gödecke, langjähriger Vereinsvorsitzender, winkt ab. Natürlich, so eine Top-Lage für eine Gartensparte gibt es in keiner Großstadt in Deutschland. Ob Kaiserreich, ob Drittes Reich, ob DDR, alle haben sie was bauen wollen auf ihrer geliebten Gartenerde. Doch die Einheit der Hinzenberger hat das immer abgewehrt: „Die beißen sich alle die Zähne an uns aus.“

 

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